Wie lässt sich eigentlich noch so in sogenannten sexpositiven Räumen spielen und geht es da eigentlich um Sex oder nicht eigentlich auch um was anderes, aber wie nennt man denn das?

Beim Spaziergang mit einer Freundin reden wir über meine Wahrnehmung und Erfahrung der sogenannten sexpositiven Räume – aus ihrer offenen Neugier heraus, da sie diese Räume noch nicht aus erster Hand erfahren hat. Ich beschreibe zunächst ein bisschen die ,Infrastruktur‘: wie bei mir überhaupt alles anfing, wie ich zunächst in einer Tanzschule zufällig in einen Workshop stolperte, in welchem auch Seile und Flogger zum Einsatz kamen, wie ich dann die Schwelle7 und Matís kennenlernte, dem ich erzählte meine Masterarbeit über Shibari zu schreiben und der mich dann schwuppdiwupp als Assistentin für einen Bondagekurs rekrutierte. 

Schließlich der schwierigere Part, der Versuch zu beschreiben, was mich an den Räumen überhaupt interessiert. Ich nenne die Klassiker, von denen viele Leute in der „Szene“ berichten. Wie befreiend es ist, Menschen mal so ganz anders zubegegnen; mit ihnen sogar etwas sehr Intimes zu teilen, für das sich beide wirklich Mühe geben, damit es für beide eine coole Erfahrung wird; man sich dann aber eventuell nie wieder sieht – und das ist okay! Mehr noch ist das sogar ein bisschen magisch.

Ich erzähle ihr auch, dass diese Intimität so ganz anders sein kann, als was man von den sonstigen ungeschriebenen ,Drehbüchern‘ der klassischeren Begegnungsräume wie dem Dancen und Flirten im Club oder beim Date in der Bar kennt (Fußnote: diese rosarote Brille färbt sich aber leider dann auch manchmal mehr in Grautöne und man erkennt, dass auch die Heterotopien gar nicht sooo anders sind und manchmal enttäuschenderweise reproduzieren, was wir doch anders machen wollten. Es lässt sich jedenfalls nicht pauschalisieren und das Dancen und Daten im Club kann manchmal dann doch ungewöhnlicher sein als ich es jetzt hier einfachheitshalber behaupte). 

Ich erzähle, wie mir diese Räume ermöglichten, Körper anders wahrzunehmen, wenn Intimität weniger genital- und zielgerichtet ist; eher geht es um Sensationen, die dem Körper ganzflächiger geschenkt werden. Wie befreiend auch, als Erwachsene miteinander in einem fast kindlichen Spielmodus zu sein. Sich selber anders erfahren zu können; auch mal von seinem sonstigen ,Ich‘ Urlaub zu nehmen.

Und dann wird uns in dem Gespräch deutlich: Aha! Es heißt zwar „sexpositiv“, aber so wie wir darüber reden, scheint Sex hier das am wenigsten interessante zu sein. 

Diese Erkenntnis finde ich sehr lustig! 

Zumindest weiß ich von mir und einigen anderen, wie sich mit der Zeit so ein Überdruss einstellen kann, dass es in diesen Räumen mit der Zeit eigentlich sehr unaufregend wird, Sex zu sehen. Im Gegenteil: teilweise stellt sich Langeweile, Enttäuschung oder Genervtsein ein. Vielleicht ein bisschen wie der Klassiker, wenn nach dem berühmt-berüchtigten Ersten Mal der Gedanke ist: „DAS ist es also? DESWEGEN machen alle so einen Terz?“ 

Von mir und einigen anderen kenne ich diese Sehnsucht nach einem diffusen „Anderen“, nach einem „Mehr!“ als nur Sex in diesen Räumen. Was mein Herz dort mit Freude erfüllt ist, sind merkwürdige Szenen: wenn Menschen durch geschickt übereinander drapierte Bettlaken eine Art Human Centipede miteinander kreieren und so einige Runden drehen. Ist das Sex? Oder wenn sich herausfordernden Missionen gestellt wird, wenn nach einem Fisting-Workshop mit ein paar Freundinnen die Vision entsteht, einen Kreis aus sich fistenden Frauen zu bilden - die andere freie Faust feministisch empowernd in die Luft gehoben. Sowas.

Ich erzähle meiner Freundin auch von einem Gespräch, das ich wenige Tage zuvor mit Matís hatte. Der hat sich beim Konk – einem sexpositiven Wochenende nahe Berlin – auch einer Mission gestellt. Und zwar wollte er dort an einem “Gender Bender Abend” versuchen, einen typisch toxisch männlichen Mann zu verkörpern: sich entitled ganz viel Raum nehmen, manspreaden, grummelig sein und permanent auf einem Zahnstocher kauen wie ein alter Cowboy. Dass er ein kinky Wochenende so angeht, dafür lieb ich ihn sehr. Im Gespräch mit Matís wurde uns dann wiederholt klar, dass die ganze Sache mit der Betonung von Sex(positivität) irgendwie in die Irre führt, denn was uns auch bei luhmen d‘arc interessiert ist eben doch was anderes als Sex. In the lack of a better word sagen wir zwar sex(positiv), müssen dann aber immer betonen, einen sehr großen Begriff davon zu haben, der viel umfasst. Am liebsten hätten wir da mehr Worte, mehr Sprache. 

Zum Glück konnte ich noch rechtzeitig (mit Matís‘ Consent) mein Aufnahmegerät zücken und das restliche Gespräch aufnehmen, in welchem wir irgendwie versuchen zu formulieren, welches Potential sexpositive Spaces noch bergen, jenseits von Sex. Ihr könnt ab dem Punkt reinlauschen, in welchem ich mich frage, ob Genitalsex manchmal auch so etwas wie eine Übersprungshandlung darstellt: wenn man nicht mehr weiter weiß, der Small Talk alle geht, die Erregung nicht mehr nur durch (das furchtbare Wort!) Vorspiel auszuhalten ist, oder man es einfach hinter sich bringen möchte, dann kann man die Awkwardness überspringen und sich in den Rausch des Sexes reinretten. Dabei finde ich genau diese Momente des Schweigens und Nicht-mehr-weiter-wissens oft sehr viel intimer und aufregender, als dann das vorhersehbarere und bekanntere Terrain des Knutschens und Co.

Weiteres nun also im Audioformat, viel Spaß beim Mäuschen spielen und lauschen!…


 
Beata Absalon

Beata erforscht als Kulturwissenschaftlerin “andere Zustände”, wie Gebären, Trauerarbeit, Hysterie, Schlaf, radical happiness & collective (kill-)joy oder sadomasochistische Praktiken. Nachdem sie zunächst untersuchte, wie Seile in aktive Passivität versetzen können – durch Bondage, aber auch im Marionettenspiel oder politischen Aktivismus –, promoviert sie derzeit über erfinderische Formen der Sexualbildung. Ihr theoretisches Interesse speist sich aus der Praxis, da sie sich und andere gerne in ekstatische Zustände versetzt – am liebsten undogmatisch: Flogging mit Lederpeitsche oder einem Bündel taufrischer Minze, Halten mit Seil oder Umarmung, Spielen mit aggressivem Kuscheln oder liebevoller Erniedrigung, Fließenlassen von Wörtern oder Spucke. Zu tun, was aus der Norm und dem Alltäglichen fällt, kann Angst machen und gleichzeitig ungeheuer lustvoll sein. Workshops und Sessions gestaltet Beata als Erfahrungsräume für Grenzwanderungen, auf denen Grenzen überschritten und gefunden werden, vage und wagemutige Phantasien gemeinsam erkundet, ein eigener Stil entstehen darf.

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As many rules as necessary, as few as possible. The traps of deregulated sex positive spaces with a focus on gender inequality

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