Workshopsexualität. Teil IV


Im letzten Blogbeitrag wurde auf die kulturwissenschaftliche Konferenz „The Workshop - Investigations Into an Artistic-Political Format“ am ici Berlin hingewiesen, bei der Workshops auch auf ihre dezidiert künstlerisch-performativen Aspekte hin untersucht wurden. Ebenso sind sexpositive Workshops eine Art Performance oder soziale Plastik, die Choreographien folgen. Viele Theater-Begriffe passen hier rein: es wird ein bestimmtes Miteinander geprobt, Fertigkeiten werden geübt, Rituale aufgeführt. Das formt Workshop-Sexualität als eine ars erotica. Hier muss nicht den Mainstream-Mustern von Sex gefolgt werden, hier wird man zur*m Architekti*en seiner eigenen, raffinierten, originellen Sexualität. Der Phantasie und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Gleichzeitig fallen Workshops dadurch auf, dass sie alltägliche soziale Skripte zwar durchbrechen können, aber dann von ihren eigenen nicht mehr loskommen, wenn sie Körper schon fast gruselig auf die immergleichen Ausdrucksmuster trimmen. Ich liebe es meiner Freundin Becky zuzuhören, wie sie es nicht mehr ertragen kann, wenn es in Workshops heißt „Feel into your body“, woraufhin alle, ALLE anfangen, sich wie eine Meeresalge sanft zu wiegen und dieses ganz spezifische „Haaaaaah!“-Seufzen auszustoßen. Tun wir das, weil das die wahre, echteste, beste, authentischste Form ist, in seinen Körper zu fühlen? Oder tun wir das, weil das irgendwie das Theater geworden ist, das wir in Workshops spielen und sich da so unhinterfragte Habitus eingeschlichen haben?

Vergleichbar wäre dieser Prozess mit Pornos, in denen das Lippenbeißen oder der gestöhnte Ausruf „fuck“ Erregung bedeuten soll – und auch dieser Code für “Erregung” schleicht sich dann in unseren Privatsex ein. Auch da lässt sich fragen, ob wir “fuck“ stöhnen, weil wir (bewusst oder unbewusst) Pornos nachmachen oder ob Pornos einfach ,echten Sex’ repräsentieren (Spoiler: vieles spricht dagegen, dass letzteres stimmt). Und so prägt ein überschaubarer Katalog an Workshop-Gesten die Art, Intimität auszudrücken: das Legen der Handfläche auf die eigene Brust wird zum scheinbar universellen Zeichen fürs Reinspüren. Das Benutzen des Ampselsystems ersetzt das Aushandeln von Einvernehmlichkeit. Sharingrunden müssen sein, weil sie für Zusammenhalt und Verarbeitung stehen. Wenn alle durch den Raum laufen, ist das ein Signifikant für Ankommen und Kennenlernen und signalisiert: jetzt geht’s los. Alle einmal gemeinsam laut und tief ein- und ausatmen zu lassen steht für die Verarbeitung schwerer emotionaler Frequenzen im Raum. Dabei könnte in Workshops auf „Feel into your body“ doch mal mit pornösem Zunge-über-die-Lippen-Schlecken reagiert und in Pornos Erregung durch sanftes Wiegen und der Aufzählung von Körperwahrnehmungen inszeniert werden.

Ob Sharingrunden, Wheel of Consent oder gemeinsam Atmen eigentlich gerade die geeignetsten Mittel für den vorgesehenen Zweck sind, erscheint im worst case leider zweitrangig, weil sich die Codes bereits als Selbstverständlichkeiten verbreitet und verfestigt haben und im „Man nehme…“-Rezeptformat einfach abgespult werden. Dabei scheinen zum Beispiel Sharingrunden zuweilen eine ganz andere hidden agenda zu erfüllen, zum Beispiel den Facilitators die Möglichkeit zu geben, sich mal zurückzulehnen und ein Päuschen zu machen… aber ich schweife ab. 

Natürlich können Austauschrunden wertvoll und hilfreich sein, so wie auch die anderen Tools. Das können aber ebenso inhaltsleere Formalia sein, die man nur tut, weil sich das so gehört, und nicht, weil es stimmig ist.

Der Unterschied ist manchmal nicht leicht aufspürbar, gelingt vielleicht außerhalb von Workshops besser, etwa wenn der spontane Lover auf der Clubtoilette mit dem Ampelsystem-Code „Orange“ wahrscheinlich erstmal nix anfangen kann oder sich danach nicht zum Aftercare verpflichtet fühlen will. 

Na gut, es wundert freilich nicht, dass es knirscht beim Übertragen der Insignien der Workshop-Sexualität auf den Gelegenheits- oder Partnersex. Neugierig wäre ich eher, was passiert, wenn es gelingt! Wer steht vor dem Sex mit seiner Süßen erstmal im Schlafzimmer und schüttelt sich gemeinsam? Wer läuft mit seinem Schwarm erstmal im Raum rum, stellt sich dann vor ihn, blickt einander in die Augen und sagt einen formalisierten Satz aus einem Authentic Relating Handbuch? Wer gibt beim Cruising Feedback zur Berührungsqualität? Wer macht beim Masturbieren eine 10-minütige Pipi- und Snackpause und dann geht’s aber weiter im Fappingprogramm?
 

Das + hinter LGBTQIA+ regt die Phantasie an: identifizierst du dich als W wie workshopsexuell?

 
Beata Absalon

Beata erforscht als Kulturwissenschaftlerin “andere Zustände”, wie Gebären, Trauerarbeit, Hysterie, Schlaf, radical happiness & collective (kill-)joy oder sadomasochistische Praktiken. Nachdem sie zunächst untersuchte, wie Seile in aktive Passivität versetzen können – durch Bondage, aber auch im Marionettenspiel oder politischen Aktivismus –, promoviert sie derzeit über erfinderische Formen der Sexualbildung. Ihr theoretisches Interesse speist sich aus der Praxis, da sie sich und andere gerne in ekstatische Zustände versetzt – am liebsten undogmatisch: Flogging mit Lederpeitsche oder einem Bündel taufrischer Minze, Halten mit Seil oder Umarmung, Spielen mit aggressivem Kuscheln oder liebevoller Erniedrigung, Fließenlassen von Wörtern oder Spucke. Zu tun, was aus der Norm und dem Alltäglichen fällt, kann Angst machen und gleichzeitig ungeheuer lustvoll sein. Workshops und Sessions gestaltet Beata als Erfahrungsräume für Grenzwanderungen, auf denen Grenzen überschritten und gefunden werden, vage und wagemutige Phantasien gemeinsam erkundet, ein eigener Stil entstehen darf.

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