Workshopsexualität. Teil III


Am Institute for Cultural Inquiry in Berlin gab es 2021 eine Konferenz namens „The Workshop - Investigations Into an Artistic-Political Format“, dessen Inhalte wunderbar erhellend für die Eigenlogik von sexpositiven Workshops und ihren Einfluss auf ein bestimmtes Sexualitätsverständnis sind. Vorträge widmeten sich all der schönen Versprechen der Workshopkultur: lösungsorientiertes Kooperieren, solidarisch einander unterstützendes Teilen von Ressourcen und Wissen, abgefahrene Möglichkeiten bewusstseinserweiternder Erfahrungen durch Meditationsübungen, psychologische Selbstbeobachtungstechniken, Improvisation oder Orgienexperimente... Laut Konferenzbeschreibung gelten Workshops als „optimal anschlussfähiges und fast universell einsetzbares Setup für kollektive Unternehmungen“. Das macht aus Sex etwas, das gar nicht nur so enigmatisch hinter privaten Schlafzimmertüren passieren muss. Da darf großzügig geguckt, abgeguckt, gefragt, geholfen und Dinge erlebt werden, die im privaten Schlafzimmer bereits logistisch gar nicht möglich sind, weil sich in Workshops einfach mehr human ressources versammeln. 

Workshopsexualität hat damit einen im besten wie im schlechtesten Sinne entzaubernden Effekt. Im direkten Vergleich sieht man, dass andere auch nur mit Wasser kochen. Und sich Intimität irgendwie kameradschaftlich erleben lässt, also gar nicht derart mit symbolischer Bedeutungsschwere rund um Romantik oder Drama aufgeladen sein muss. Diese Leichtigkeit ist eine Wohltat und ein Ausbruch aus versteinerten Mustern. Manchmal macht es die Sache aber auch ernüchternd technisch oder trivial. Als würde im Schlafzimmer quasi ein helles Licht angemacht werden. Endlich! Aber auch: Huch! Oder gar: Urghs! Und: Uah! Manches lässt sich nicht mehr ungesehen machen und es kann der Eindruck entstehen, dass durch die Beleuchtung der (eigenen) Sexualität, diese auf eine Weise auch flöten geht. Das, was man beobachtet, verändert sich schließlich dadurch, dass man es beobachtet. Dann wünscht man sich vielleicht trotz besseren Wissens die Simplizität vergangener Zeiten ohne Selbstmonitoring wieder. 

Bleiben wir bei der Lichtmetapher, dann folgen Begehren und Erregung in schummrigen Kerzenschein-Sexualitäten eher dem Prinzip der Andeutung und Anspielung, der Exklusivität und Privatheit, als auch dem Spiel mit Verbotenem. Diese Formen von Verführung oder Stimulation können Workshop-Sexualitäten kaum bieten oder gar tolerieren, weil es um transparente Kommunikation in einem auf Vertrauen und Verantwortung setzenden Gruppen-Setting geht. Turn-Ons werden hier eher dadurch angekickt, dass Ambiguitäten überwunden, Klarheiten geschaffen und vorherige Wissenslücken geschlossen werden. Mythen weichen Fakten und zuvor verunsichernd Unbekanntes wird zugänglicher und handhabbarer. „Ich war mir nicht sicher, ob sie mit mir den Massageaustausch machen möchte, aber in der Authentic-Relating-Übung zum direkten Kommunizieren hat sie das nicht nur explizit bejaht sondern mir auch noch Hinweise zu ihren No-Go’s gegeben, was wiederum mir hilft, mich weniger ungeschickt zu fühlen. Geil!“

Weil Workshops viele Menschen versammeln, die kurz zuvor noch Fremde waren aber dann gemeinsam Ungewöhnliches erleben, sich einander öffnen, einander in ihren Verletzbarkeiten und ihrem Enthusiasmus begegnen und bonden, kann ein warmes, fast utopisches Gefühl von Gemeinschaft entstehen. Was alles möglich ist! Das ist das gute Leben! Tribe! Community! Rudel!
Und dann ist es vorbei. Und wenn es kein gemeinsames Commitment mehr gibt, hält einen jetzt auch nix mehr so richtig zusammen. Voller Hoffnung wird eine Email-Liste oder ein Telegram-Chat erstellt. Am nächsten Tag fühlt man sich, als hätte man einen Kater, aber der Chat bietet Trost. Nach wenigen Tagen fühlt er sich aber schon an wie Spam. Wer sind diese Leute??

Eine hübsch schillernde Seifenblase – geplatzt. Im Nachhinein ahnt man, dass die gemachten Erfahrungen so berührend waren, weil sie in dieser abgeschlossenen Bubble stattfanden, die sich schwer im Alltag rekonstruieren lässt. >> Ein Zine auf unserem Blog weist übrigens auf den Umgang mit der postworkshopalen Depression hin.

Die intimen Interaktionen der Teilnehmenden unterscheiden sich dadurch von Beziehungen und Sexualitäten, in denen sich längerfristig einander verpflichtet werden möchte. Und dass der Workshop sich so schnell warm und verbunden anfühlt, ist natürlich von den Organisierenden gewollt und entsprechend designt. Man könnte auch sagen: simuliert – was die Erfahrungen aber mitnichten weniger real oder wertvoll macht! Hat man das Hochstilisierte von Workshopformaten auf dem Schirm, dann lassen sich genau daraus die besonderen Potentiale schöpfen. Falsche Erwartungen, Projektionen, Enttäuschungen, Verwirrung und Frust können ebenso vermieden werden. 

Nicht zuletzt handelt es sich bei dem Ganzen schließlich auch um ökonomische Unterfangen. Workshop-Sexualität ist damit verwandt mit Sexwork-Sexualität. Die Workshopteilnehmenden zahlen für ihre Erfahrung. Die Facilitators machen einen bezahlten Dienstleistungs-Job, geben sich Mühe, bereiten Inhalte vor. All das macht etwas mit der Haltung, mit der alle Anwesenden an die Sache herangehen. Es lässt sich davon ausgehen, dass alle freiwillig hier sind, für ihr Vergnügen, weil sie generell erstmal ein Interesse am Workshopthema haben und das Angebotene auch erleben wollen. Natürlich: Teilnehmende bringen ebenso zaudernde, skeptische, widerspenstige Aspekte mit und natürlich besteht immer die Möglichkeit, zu pausieren, auszusteigen, abzusagen. Grundsätzlich herrscht in Workshops aber eine Stimmung der Bereitschaft und Willigkeit. Das beeinflusst natürlich die Interaktionen, zum Beispiel wenn sich plötzlich mehr Menschen auf Übungen mit einem einlassen. Und ein Grund dafür ist auch Geld. Umso mehr, wenn sich ein Mindset einstellt, nachdem sich auch lohnen muss, wofür man Geld gezahlt und sich ein ganzes Wochenende freigehalten hat.

Weitere Effekt davon sind, dass nur teilnimmt, wer sich das auch leisten kann und dass bei denen, die es sich leisten können, sich zuweilen eine Konsumhaltung mit niedriger Toleranzschwelle für Unbehaglichkeiten einstellen kann. Das sind dann die Teilnehmenden, die sich nicht groß anstrengen möchten und besonderen Service erwarten, wenn sie viel zahlen. 

All das wirkt sich aus und lässt sich in dieser Form nicht von Beteiligten workshopexterner Liebesleben zu erwarten.

Es braucht noch einen Teil IV – kommt bald...

 
Beata Absalon

Beata erforscht als Kulturwissenschaftlerin “andere Zustände”, wie Gebären, Trauerarbeit, Hysterie, Schlaf, radical happiness & collective (kill-)joy oder sadomasochistische Praktiken. Nachdem sie zunächst untersuchte, wie Seile in aktive Passivität versetzen können – durch Bondage, aber auch im Marionettenspiel oder politischen Aktivismus –, promoviert sie derzeit über erfinderische Formen der Sexualbildung. Ihr theoretisches Interesse speist sich aus der Praxis, da sie sich und andere gerne in ekstatische Zustände versetzt – am liebsten undogmatisch: Flogging mit Lederpeitsche oder einem Bündel taufrischer Minze, Halten mit Seil oder Umarmung, Spielen mit aggressivem Kuscheln oder liebevoller Erniedrigung, Fließenlassen von Wörtern oder Spucke. Zu tun, was aus der Norm und dem Alltäglichen fällt, kann Angst machen und gleichzeitig ungeheuer lustvoll sein. Workshops und Sessions gestaltet Beata als Erfahrungsräume für Grenzwanderungen, auf denen Grenzen überschritten und gefunden werden, vage und wagemutige Phantasien gemeinsam erkundet, ein eigener Stil entstehen darf.

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