Sex /vs./&/?/ Gewalt. Versuch einer begrifflichen Eingrenzung anhand von Abgrenzung

Image: E. Muybridge „Animal locomotion“, 1887, Wellcome Collection gallery (2018-03-29), CC-BY-4.0 Photo number: L0018594


Triggerwarnung: Im folgenden Beitrag wird die Bezeichnung „sexuelle/sexualisierte Gewalt“ diskutiert, ohne jedoch drastische Details von Gewaltakten zu beschreiben.

„What is sex?“ fragten wir in einer Gesprächsrunde während der Xplore. Anna Natt und Matís luden ein, diese unmögliche Frage genauer zu unterteilen: „How do you use the word sex?“, „How do you do sex?“ und „How do you know you had sex?“

Ein Teilnehmer erklärt, dass er diesen Diskussionskreis besucht, weil er es für eine gute Idee hält auf einem sexpositiven Event zu hören, was denn „Sex“ hier für die Teilnehmenden bedeutet. Community = shared language. Macht Sinn. Nur wird nach der ersten Runde klar, dass „Sex“ für alle etwas anderes heißt. Und doch wäre es zu einfach stehen zu bleiben bei Privatsprache und pseudoerleuchtetem „Jede*r sieht das anders, alle haben Recht, keiner hat Recht. Namaste.“ Wir können doch bestimmt gute Argumente für gemeinsame Nenner finden, um uns auf überzeugende Begriffseinschränkungen zu einigen.

Die Antworten auf die Fragen variieren zwischen den Hinweisen auf bestimmte Gefühle/Affekte (Passion), Objekte (Matratze), Körperteile und -praktiken (PiV), Qualitäten (Rohheit). Anna teilt den grandiosen Einfall, aus solchen Parametern eine Liste herzustellen, um nach einem Date einfach anzukreuzen, was man so getrieben hat, damit ein mathematischer Graph und komplexer Algorithmus daraus die Wahrheit errechnet, ob man denn nun Sex hatte.

Weiter nähern wir uns dem Versuch der genaueren Eingrenzung als wir diskutierten, ob Vergewaltigung denn auch Sex sei. Lässt sich überhaupt von „sexueller Gewalt“ sprechen – oder sollte „Sex“ nicht im Sinne eines ethischen Projekts reserviert werden für Praktiken, die mit Gewalt eben nichts zu tun haben. Dann wäre „Sexuelle Gewalt“ ein Widerspruch, ein Oxymoron. Vergleichbar mit „Kinderpornographie“, wenn man „Pornographie“ eingrenzt auf etwas, das vor allem ein auf Einvernehmlichkeit beruhendes Berufsfeld umfasst, welches dementsprechend schutzbedürftige Kindheit ausschließen muss. Sonst verwischt der Begriff, worum es da eigentlich geht (Gewalt!) und was Pornographie eigentlich ist (ein Beruf!). So wie Vergewaltigung Gewalt ist, nicht Sex.
Bei diesem Definitionsversuch steigt die Spannung im Raum. Was unterscheidet dann das gewaltsame Spiel beim kinky inszenierten Rape Play von erzwungenen Überwältigungen? Ist es bloß das Einverständnis, das Sex von Gewalt unterscheidet? Was ist dann aber mit dem Rest an unfreiwilligen Schmerzen oder unbewussten überwältigenden Anteilen, die sich selbst bei best-practice-consent einschmuggeln? Ist Sex vielleicht doch immer untrennbar mit Gewalt verwoben? Man denke allein an den Akt: das Eindringen, Verführen, Erobern, Flachlegen, Treiben? Oder man denke an die strukturellen Gewaltverhältnisse, die sich auf den Sex abfärben: gegenderte Abhänigkeitsverhältnisse zum Beispiel.
Vielleicht ist der Knackpunkt, der Sex von Gewalt unterscheidet, die Intention: weil Gewalt den Anderen annihilieren, auslöschen möchte, während sich Sex auf den Anderen bezieht, ihn ergo nicht zerstören darf? Ein solches Verständnis würde Sex als ein Verhältnis stark machen, das auf dem Wissen um die Unvollständigkeit der jeweils Beteiligten beruht; auf dem Andersseindürfen, Abgrenzen, Unterscheiden. Das wäre dann alles überhaupt erst die Bedingung für die Vereinigung mit dem Anderen. Eben weil man nicht omnipotent, sondern unvollständig ist, kann man sich dank des Anderen durch das sexuelle Verhältnis rituell kurzzeitig „vervollständigen“, um sich dann wieder zu trennen, auf Distanz gehen — wiederum als Bedingung für Nähe. ((Zwischenfrage: Wäre dann aber Selbstbefrieidgung kein Sex?))
Gewalt würde da ins Spiel kommen, wo die eigene Unvollständigkeit verleugnet wird; wo der Andere gewaltsam vereinnahmt und damit als Andere*r vernichtet werden muss. Vielleicht auch aus Angst, selber vereinnahmt zu werden, weil das Gefühl für die eigenen Grenzen und Distanzen zu anderen fehlt, weswegen Nähe und Körperlichkeit bedrohlich werden und kontrolliert werden müssen.

Ich notiere mir, an der Frage wie an einer Spur weiter dran zu bleiben. Schreibe den Hinweis eines Mitdiskutanten auf, zwischen „Sex“ und „sexuell“ zu unterscheiden und ergänze um „sexualisiert“. Einverstanden bin ich, von „sexualisierter Gewalt“ zu sprechen, da es beschreibt, dass die Sphäre des Sexes in den Gewaltakt geholt, angeeignet, nachgeahmt wird. Frage mich aber, ob ich diesen Begriff wiederum nur reservieren würde für Missbrauchsfälle, Nötigungen und (auch verbale) Übergriffe und es nicht anwenden würde für den umgekehrten Fall: das Einspeisen von Gewalt in den Sex. Wie nennt man dann aber das Spiel mit Gewalt im BDSM? Ist das dann überhaupt Gewalt oder ist es da zu gezähmt um Gewaltgewalt zu sein? Und gäbe es einen Unterschied, wenn nicht nur Gewalt inszeniert wird ( wenn z. B. nur so getan wird, als würde man seine*n Spielpartner*in entführen, aber natürlich bleiben sie im Grunde frei und selbstbestimmt) sondern wirklich „statt Ketchup Blut fließt“, wie Marina Abramovic immer ihre Performances von Theater abgrenzt? Und weitere Frage: Kann nur kinky mit Machtdynamiken gespielt werden oder wie sähe demgegenüber „Equality Play“ aus?

Als in der Gruppe der Wunsch laut wird, das Gespräch doch wieder zurück zu den eigenen Erfahrungen zu lenken und mehr auf: „How do you do sex?“ einzugehen, ist die Zeit leider schon vorbei. Doch die Experimente gingen weiter, unter anderem in unserem Kurs „Explicit Patterns“ der erforschte, welche ganz typischen Muster, Gesten, signature moves beim Sex immer wieder ausgeführt werden — und zu fragen, woher die jeweils kommen, warum wir sie einsetzen und was sie uns erzählen. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.

 

Beata Absalon

Beata erforscht als Kulturwissenschaftlerin “andere Zustände”, wie Gebären, Trauerarbeit, Hysterie, Schlaf, radical happiness & collective (kill-)joy oder sadomasochistische Praktiken. Nachdem sie zunächst untersuchte, wie Seile in aktive Passivität versetzen können – durch Bondage, aber auch im Marionettenspiel oder politischen Aktivismus –, promoviert sie derzeit über erfinderische Formen der Sexualbildung. Ihr theoretisches Interesse speist sich aus der Praxis, da sie sich und andere gerne in ekstatische Zustände versetzt – am liebsten undogmatisch: Flogging mit Lederpeitsche oder einem Bündel taufrischer Minze, Halten mit Seil oder Umarmung, Spielen mit aggressivem Kuscheln oder liebevoller Erniedrigung, Fließenlassen von Wörtern oder Spucke. Zu tun, was aus der Norm und dem Alltäglichen fällt, kann Angst machen und gleichzeitig ungeheuer lustvoll sein. Workshops und Sessions gestaltet Beata als Erfahrungsräume für Grenzwanderungen, auf denen Grenzen überschritten und gefunden werden, vage und wagemutige Phantasien gemeinsam erkundet, ein eigener Stil entstehen darf.

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Daniela Reina Téllez On The Power Of Workshops And Circles

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