Intimate Interviews Part I – Die Verbindung von Kunst und Lust und ein Workshop-Wunschkonzert

Photo: Matís d’Arc

Letztes Jahr hatten wir das Vergnügen, bei unserem Aufenthalt im österreichischen Hallein anlässlich von Schmiede19: better mit lieben und talentierten Menschen Interviews zu führen über alles, was uns auch bei unserer Arbeit beschäftigt. Dafür haben wir unsere Gesprächspartn’erinnen zunächst mit einer Bodyworksession ihrer Wahl gepampered, damit wir so gut durchblutet miteinander ins Gespräch kommen konnten.

Viele Fragen hatten wir vorbereitet und sie tauchen immer wieder auf, andere sind spontan entstanden. So fingen die Gespräche meist mit einer freien Assoziation zum Thema „Sex“ an — einfach sagen, was einem als erstes in den Sinn kommt, ohne nachzudenken. Und gegen Ende ging es meist darum, welche Workshops zu kreativer Intimität sie sich konkret wünschen würden. Was zwischen uns dabei entstand und in Worte gefasst wurde, sind für mich Goldstücke!

Hier folgt das erste transkribierte Interview!

„Lust, Leidenschaft, Verantwortung, Spaß, Ausgelassenheit, Verkrampftheit, Lustspiel, Unwohlbefinden, Angst und Glücksgefühle und Rage und Euphorie und Geborgensein und Ruhe und Tiefe und Gesellschaft und verrückt und ja… vieles in sich einbezogen und alles von dem berührend und schwer zu fassen.“


– Was ist für dich der Unterschied zwischen deiner künstlerischen Arbeit und deiner sexuellen Lust?

Ja, das frage ich mich auch hin und wieder. Diese Energie die man beim Sex oder beim Künstlerischen hat, ist oft voll ähnlich, beides hat einen Drive und du bist so drin, und den willst du überhaupt nicht stoppen, es ist das Gefühl immer dabei bleiben zu wollen… Wenn mich etwas ästhetisch sehr berührt, zum Beispiel — und das ist jetzt ein kitschiges Beispiel — der Himmel, wenn die Sonne untergeht und der so smaragdgrün ist und der so durch und durch smaragdgrün ist und du bist auf der Autobahn und du siehst rote und grüne Lichter und die matchen sich so arg mit diesem smaragden Himmel… Und das regt mich schon irgendwie so an, dass ich denke: das könnte jetzt auch eine sexuelle Erregung sein.

Ich habe irgendwie eine vergeistigte Sexualität. Also wenig mit Geborgenfühlen und Kuscheln und Wärme haben… eher ein bissi phantastisch und ein bissi energischer und weniger kuscheln und warm. Obwohl irgendwo ich das auch vermiss. Und meine Kunst ist auch sehr geistig. Ich habe schon auch viel körperliche Ertüchtigung in meiner Kunst, mit viel rumspringen, zusammenschrauben, abschneiden. Aber die körperliche Arbeit dient nur dem, was ich im Geist realisieren will. Es ist ja auch viel Kunstfertiges zum Beispiel im BDSM-Spiel.

– Gibt es etwas, was du an deiner Sexualität vermisst?

Ich habe früher sehr wenig geredet über Sex und habe dann angefangen das zu ändern und möchte das mehr kultivieren, dass das von mir einfach ein Teil wird. Aber ich denke, dass es ein Arbeitsprozess ist, denn wenn man mal angefangen hat, viel nicht zu sagen, gerät man in so einen Strudel rein und sagt ganz viel nichts.
Es ist wie: sich selber immer weder auf die Finger kloppen: Ah, ich sag es doch!
Das vermisse ich in meinem Sexualleben und das schlägt sich auch voll nieder in der Beziehung. Der Umgang wird anders. Was wenig greifbar schien, wird, wenn man drüber redet, zu etwas Greifbarem, mit dem man herumspielen kann und viel Spaß haben kann. Die Gefahr wird geringer, sich in einer unangenehmen Situation wiederzufinden, wo man denkt, man habe keine Kontrolle. Und man kann mehr ausleben und mehr ausprobieren.

– Wie übst du dich darin zu reden?

Einfach hin und wieder, wenn mir etwas nicht taugt, wenn ich mit einer Situation nicht so gut klarkomme, einfach das geradeheraus sagen.

[…]

– Wie wäre es wenn wir reihum jede*r immer eine ganz konkrete Sache sagen, derer man sich gerne mal im Rahmen eines Workshop widmen wollen würde? Worauf hätten wir Bock? Wo denken wir uns, dass man gerne mit anderen zusammen da mehr zu herausfinden wollen würde: Wie kriegt man das gut hin? Muss ja auch gar nicht ganz ehrlich sein jetzt… Los geht’s!

  • Ich würde gerne mal ne ganze Nacht durchgeleckt werden. Wie kriege ich es hin, dass eine Person mich 8 oder 12 Stunden – je nachdem wie lange ich schlafe – leckt?

  • Ich hätte gerne, dass Männer öfter zärtlich küssen. Ein Kussworkshop vielleicht.

  • Ich hätte gernen ein Workshop für Frauen, dass sie mehr sich Männer nehmen — also MICH nehmen eigentlich! Mehr für sich nehmen…

  • Das würde ich mir auch wünschen… female dominance eigentlich. Aber auf eine LIEBEVOLLE Art, nicht so „Leck mir die Stiefel“. Aus dem Herzen mehr…

  • Ich wünsche mir auch mal einen Kurs, wie es ist eine Domina zu sein, denn ich denke ich bin absolut nicht dafür geeignet…

  • Ich würde gerne noch mehr Workshops machen – auch wenn wir die eh schon machen – wo man sich wirklich ganz genau wünschen kann, was passieren soll. Jemandem sagen, was geschehen soll, um dann, wenn es ausgeführt wird, vielleicht auch zu erleben: „Pff…also es funktioniert doch nicht, die andere Person macht das zwar, aber nicht mit der richtigen Motivation…“

  • Kunstvolles Beißen fände ich gut.

  • Eigentlich auch Speichel-, Sabberworkshops… bisschen wiederlich aber eigentlich auch richtig geil.

  • Ich würde mir was wünschen zu Perfektionismus. Ich beobachte das oft in unseren Kursen, dass wir etwas anleiten und dann probieren die Leute und dann heißt es gleich: „Ich bin so schlecht! Ich habe das so schnlecht gemacht!“ und ich denk immer: „What!? Du hast das zum ersten mal gemacht! Sei doch nicht gleich so streng mit dir“. Ich würde das gern anzapfen, dass Leute so Selbstgeißelung betreiben und sich da reinpeitschen, dass es sofort picobello sein muss und es gibt echt wenig Fehlerkultur. Da Leichtigkeit und Freundlichkeit mit sich reinbringen.

  • Ich hätte gerne einen Workshop zu: Wie spreche ich Menschen im Bus an? … Ein Flirtworkshop… aber es gibt ja diese blöden Pickup-Artists das ist ja richtig ätzend! Aber…naja…das ist halt etwas, was ich gar nicht kann…

  • Wie man mit „creepy old men“ umgeht, ohne die sofort zu verurteilen, denn es gibt ja immer wieder Leute, die sind sehr unangenehm und es gibt dann sehr schnell diesen Impuls, dass man zu jemand anderem geht und sich da beschwert: „Boah der Typ ist so anstrengend , das geht gar nicht!“ Empörung! Aber wie kann man mit den Leuten direkt umgehen? Ohne sofort zu sagen: Dämon, weiche von mir! Die Empörung beim Dritten kann ich auch verstehen, aber richtig gut wäre, dass die Männer das auch mal erfahren, denn ich glaube, oft wissen die gar nicht, dass die was scheiße machen und ich glaube, oft sind die einfach lost und verzweifelt.
    [Edit: Diesen Wunsch haben wir uns selbst erfüllt :) ]

  • Sex hat ja auch oft für Menschen was Abstoßendes… das wäre vielleicht wieder so ein geistiger Workshop… Schnittstellen zu erforschen: du kommst an einen Punkt, wo etwas so lustvoll und so leidenschaftlich und so geil ist und dann kommst du an einen Punkt wo es grauslig wird – und das sind so zwei Ebenen die so voll nah beieinander sind und dann aber wieder voll weit weg und ich finde das einfach furchtbar spannend was da passiert… auch dass Leute das attraktiv finden sich anzukacken und das ist einfach da und existent und ich finds einfach superinteressant wie das kommt, dass so eine Leidenschaft entsteht. Ich würde mich super gern mit jemandem unterhalten der so einen Fetisch hat und wie das so ist für die Person.

  • Ich würde gerne auch was machen zum Bizarren und Grotesken und Ekligen und Monströsen, denn oft geht es eher so um das Schöne und Heilige und Engelsgleiche…

…und dann kackt dir der Engel auf den Bauch…

Ja!
Ja oder auch… es muss vielleicht gar nicht so weit gehen, es reicht vielleicht auch zu schauen: welchen Gesichtsausdruck setzt man auf? Hat man einen antrainierten „bedroom-look“? Und sexy Posen… Und mal genau das Gegenteil zu tun, sich zu erlauben hässlich zu sein, und Fratzen zu ziehen . Ich glaube das kann voll empowern und geil sein.
[Edit: Auch diesen Wunsch haben wir uns erfüllt :) ]

  • Ich habe mal eine Büste von einer Freundin modelliert mit ihrem Orgasmusausdruck… und ich habe dann ganz viele von meinen Freundinnen fotografiert beim Orgasmus und mich hat es so gewundert, weil die meisten haben ganz gleich ausgeschaut! Die meisten hatten den Kopf leicht zurück, die Augen geschlossen und den Mund offen. Und die waren sich so ähnlich, ich switch meine Fotos durch und eine schaut aus wie die andere, nur die eine hat lange Haare, die eine ist blond, die andere brünett… doch dann kommt auf einmal dieses Foto einer Bekannten von mir und sie hat die Augen offen und sie schielt eh leicht und auf dem Bild schielt sie noch mehr und sie hat auch den Mund ganz offen und schaut wirklich fast ein bisschen erschrocken aus, und das war so: wow! Eher so hatte ich mir die Gesichter vorgestellt. Obwohl ich zugeben muss, meins hat genau gleich ausgeschaut wie das der anderen… vielleicht sehen die meisten halt doch eher so aus…

  • Vielleicht wäre es aber spannend da mal bewusst nen anderen Gesichtsausdruck zu machen… immer genau das Gegenteil von dem, was man sonst macht. …Ein Workshop über expressions… bodyexpressions, voiceexpressions, gestures for sex… ich glaube schon, dass da viel geht, denn allein wenn man mal Leuten sagt: „atme mal bewusst durch mit offenem Mund“ da passiert schon was ganz anderes…

  • Ich habe lange gebraucht bis ich in dieses Loslassen kam beim Sex. Mir hilft Atmen. Das hat ziemlich viel geändert in meinem Sexualleben, als ich anfing mich für Atemtechniken zu interessieren. Das hat mir so geholfen, auch in intensiveren Punkten einfach wieder voll runterzukommen und einen Switch zu machen von Intensität und Ruhe, was so ein interessanter Ausgleich war… Ich glaube, viele Leute tun sich schwer mit diesem Loslassen. Mit dem Atmen ist es viel lustvoller geworden und viel intensiver. Das ist sehr erfreulich.
    Ich weiß nicht, ob Leute sich gefangen fühlen und Situationen so unnötig unangenehm werden. Die Ruhe kann helfen, Sachen mehr erfassen zu können und gewahr zu werden, was man will.

  • Mir fällt das persönlich auch nicht immer leicht, mich fallen zu lassen. Es hängt auch immer ab von: bin ich gerade gestresst? Mit wem bin ich gerade zusammen? Vielleicht ist eine Situation zwar schon sexy und heiß aber es gibt keine persönliche Verbindung, wo ich mich wirklich so zeigen und gehen lassen möchte. Das passiert dann möglichweise gar nicht bewusst, aber das Loslassen passiert einfach nicht, weil nicht so viel Vertrauen da ist. Ist schon unterschiedlich mit unterschiedlichen Leuten.

  • Menschen haben ja auch Gründe, warum sie nicht loslassen können, das ist nicht weil sie so doof sind, sondern das Festhalten war eigentlich mal eine kluge Überlebensstrategie. Das ist schon klug vom Körperchen, dass es so festhält! Und man kann halt Einladungen machen für den Körper: „Hey, möchtest du jetzt loslassen? Okay noch nicht… okay jetzt velleicht…“

 
Beata Absalon

Beata erforscht als Kulturwissenschaftlerin “andere Zustände”, wie Gebären, Trauerarbeit, Hysterie, Schlaf, radical happiness & collective (kill-)joy oder sadomasochistische Praktiken. Nachdem sie zunächst untersuchte, wie Seile in aktive Passivität versetzen können – durch Bondage, aber auch im Marionettenspiel oder politischen Aktivismus –, promoviert sie derzeit über erfinderische Formen der Sexualbildung. Ihr theoretisches Interesse speist sich aus der Praxis, da sie sich und andere gerne in ekstatische Zustände versetzt – am liebsten undogmatisch: Flogging mit Lederpeitsche oder einem Bündel taufrischer Minze, Halten mit Seil oder Umarmung, Spielen mit aggressivem Kuscheln oder liebevoller Erniedrigung, Fließenlassen von Wörtern oder Spucke. Zu tun, was aus der Norm und dem Alltäglichen fällt, kann Angst machen und gleichzeitig ungeheuer lustvoll sein. Workshops und Sessions gestaltet Beata als Erfahrungsräume für Grenzwanderungen, auf denen Grenzen überschritten und gefunden werden, vage und wagemutige Phantasien gemeinsam erkundet, ein eigener Stil entstehen darf.

Zurück
Zurück

„Sex & Essen“ – Beata im Podcast-Talk mit Nicole Siller

Weiter
Weiter

Einsame Oberflächen – Sexual Enhancement am Touchscreen